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EU-Urheberrechtsreform wird ein Jahr alt – war die anfängliche Angst begründet?

Mit Inkrafttreten der EU Urheberrechtsreform letztes Jahr ging die Haftung beim Verbreiten illegaler Raubkopien von privaten Nutzern auf die Plattformen über, welche hierfür genutzt werden. In der Öffentlichkeit weckte dies die Angst vor digitaler Zensur durch Uploadfilter, die dieses Gesetz anwenden sollen.

Die Geschichte dieser bis heute in Gesellschaft und Politik umstrittenen Reform beginnt bereits einige Jahre zuvor.

Entstehung der aktuellen EU Urheberrechtsreform und daraus resultierende Gesetze

Bei einem Verfahren von 2012 am Europäischen Gerichtshof entschieden die Richter, dass Plattformen nicht dazu verpflichtet sind, Geld für Investitionen in einen Uploadfilter ausgeben müssen. Die Content Creator seien selbst zu verantworten, wenn Sie illegales Bild, Text oder Tonmaterial auf Plattformen veröffentlichen.

Folge dieses Richterspruches waren mehrere Kommissionen der EU und Studien, die dieses Urteil widerlegten. So wurde erstmals am 25. Mai 2018 ein Entwurf der heute geltenden Richtlinien vom EU-Ministerrat vorgestellt. Ziel dieser Richtlinie sei es, in Europa einen einheitlichen digitalen Binnenmarkt zu errichten.

Dieser Entwurf wurde in den folgenden Jahren europaweit von den Regierungen europäischer Staaten diskutiert und auf die Anwendbarkeit geprüft.

Auch in Deutschland wurden über die EU-Richtlinien im Bundestag debattiert, während Zehntausende Bürger auf der Straße gegen die Einführung des Gesetzes demonstrierten.

Am 1. August 2021 war es dann so weit und die EU-Vorgaben wurden in das deutsche Stammgesetz integriert. Es entstand das Urheberrechts-Dienstanbieter-Gesetz, kurz UrhDaG.

Pflichten von Social Media Plattformen, die im UrhDaG bestimmt werden

Hauptaspekt des Gesetzes ist die Regelung, dass Plattformen prüfen müssen, ob auf ihnen urheberrechtlich geschütztes Material veröffentlicht wird. Betroffen sind hierbei insbesondere die Social Media Plattformen YouTube, Instagram, Facebook und TikTok, aber auch einige Streaminganbieter.

Dies bedeutet, dass jeglicher Content beim Hochladen durch die Plattform auf Urheberrechtsverletzungen überprüft werden muss. Falls der Content Creator nicht eigens hergestellten Content hochlädt, muss als Nächstes geprüft werden, ob die Plattform die Lizenz an dem Material innehat. Besitzt die Plattform diese, muss dem Künstler selbst eine Lizenzgebühr bezahlt werden.

Falls dies nicht der Fall ist, muss ausgeschlossen werden, dass das Werk nicht als Zitat, Parodie, Karikatur oder Pastiche kategorisiert wird, welches im § 51a Urheberrechts-Gesetz geregelt ist. Hierbei gelten folgende Regeln:

  • eine Video- oder Tonsequenz darf 15 Sekunden nicht überschreiten
  • ein Zitat darf aus höchstens 160 Zeichen bestehen
  • ein Bildausschnitt darf maximal eine Größe von 125 kB haben
  • der erstellte Content muss mindestens doppelt so lang sein und eine neue Form besitzen.

Wird urheberrechtlich geschütztes Material vermeintlich legal veröffentlicht, da es sich um ein Werk unter zuvor genannten Paragrafen fällt, muss unter allen Umständen der Rechteinhaber informiert werden. Dieser kann bei der Plattform Beschwerde einlegen und die Löschung verlangen.

Stellt die Plattform nach ausgiebiger Prüfung fest, dass der veröffentlichte Inhalt rechtswidrig ist, muss dieser umgehend gelöscht werden. Macht sie das nicht, drohen ihr hohe Lizenzstrafen. Der private Content Creator ist nach dem Gesetz von jeglicher Haftung ausgeschlossen; ein Gewerblicher jedoch nicht.

Auf der anderen Seite müssen die Plattformen sicherstellen, dass legale Inhalte nicht einfach verboten und gelöscht werden dürfen. Daher gilt auch die Regel, dass hochgeladener Content so lange online bleibt, bis eine überprüfende Instanz eine Urheberrechtsverletzung feststellt.

Durch diese gesamte Konstellation entsteht ein Konflikt, der noch heute zu viel Kritik an der EU Urheberrechtsreform führt.

Plattformen in der Rolle des Richters

Schon vor der Einführung des UrhDaG wurde urheberrechtlich geschütztes Material auf Social Media Plattformen veröffentlicht. Ob hierbei der oben bereits genannte § 51a UrhG in Kraft tritt oder es sich um eine illegale Veröffentlichung handelt, haben ausgebildete Urheberrechtsjuristen oftmals über mehrere Jahre vor einem Gericht verhandelt.

Zur korrekten Umsetzung des Gesetzes müssen Plattformen aufgrund der hohen Datenmenge auf intelligente Uploadfilter zurückgreifen. Diese sollen die Arbeit, für die Richter Jahre benötigen, innerhalb kürzester Zeit verrichten. Dabei ist es aktuell noch schwer, bis nahezu nicht möglich, künstlicher Intelligenz Parodien oder Karikaturen beizubringen. Da die Unternehmen hohe Strafen zahlen müssen, falls urheberrechtlich geschütztes Material hochgeladen wird, besteht die Angst in der Bevölkerung, dass der intelligente Uploadfilter legales Filmmaterial vorsichtshalber als illegal einstuft und somit löscht.

Stellt sich bereits die Frage, wie ein intelligenter Uploadfilter adäquate Auswertungen von hochgeladenem Content erstellen kann, scheint es mehr als problematisch, wie Plattformen das Urheberrecht bei den stark zunehmenden Live-Formaten überprüfen kann.

Als Ergänzung zu dem Uploadfilter wurden auf der Plattform YouTube auch sogenannte „Trusted Flagger“ hinzugezogen. Hierbei handelt es sich um besonders vertrauenswürdige Menschen, die den Inhalt auf Rechtsverstöße jeglicher Art überprüfen. Wird ein Video von so einer Person geflaggt, also markiert, wird es von speziell ausgebildetem Personal priorisiert, überprüft und entweder gelöscht oder für die Community wieder freigegeben.

Die EU Urheberrechtsreform als Stolperstein für Start-ups

Die Implementierung von zuverlässigen Uploadfiltern ist eine technische Herausforderung, die viel geschultes Personal in diesem Bereich bedarf. Sie ist daher für jeden Betrieb, der ein solches Instrument benötigt, sehr Zeit- und kostenintensiv.

Etablierte Unternehmen können für einen prozentualen Bruchteil des Jahresumsatzes sich das benötigte Know-how einkaufen, wenn es sich nicht bereits in der Firma befindet. Gerade junge Unternehmen, die sich im Bereich von sozialen Netzwerken ansiedeln wollen, können auf solche Ressourcen nicht zurückgreifen.

Damit ist der Markteintrittswiderstand für junge Unternehmen extrem hoch. Denn sobald eine Plattform eine durchschnittliche Besucheranzahl von bereits 5 Millionen überschreitet, benötigen sie ein Kontrollsystem zum Erkennen von Urheberrechtsverletzungen.

Bilanz nach einem Jahr Urheberrechtsreform

Mit der Implementierung der EU Richtlinien in deutsches Gesetz prophezeiten Content Creator, dass sich das Bild und der Inhalt in den sozialen Medien stark ändern wird. Die Angst vor einer Zensur kritischer Stimmen aufgrund von scheinbaren Urheberrechtsverletzungen und einem mangelhaften Uploadfilter wuchs.

Mittlerweile ist das Gesetz seit über einem Jahr in Kraft getreten, und in den Medien wurde es leiser um die einst umstrittene Urheberrechtsreform. Dies liegt wohl hauptsächlich daran, dass bisher keine Berichte von sogenanntem Overblocking durch die Uploadfilter bekannt wurden, sprich dem wahllosen Löschen von Content, der urheberrechtlich geschütztes Material beinhaltet.

Die Gewinner dieser Reform sind zunächst die Urheber, die aufgrund der stärkeren Kontrolle des Urheberrechts auf Plattformen höhere Einnahmen erzielen. Die Künstler werden hierbei direkt durch die Plattform vergütet. Zudem erhalten die Künstler einen besseren Überblick darüber, wo deren erstellte Inhalte veröffentlicht wurden.

Weitere Profiteure sind wie bereits erwähnt private Content Creator, die unwissend urheberrechtlich geschütztes Material veröffentlicht haben. Durch die Initiierung des UrhDaG müssen die Plattformen selbst eine rechtskonforme Nutzung durch die Benutzer gewährleisten.

Mit der Einführung dieses Gesetzes hat der deutsche Staat erreicht, dass nach europäischem Gesetz Rechtssicherheit besteht. Da eine uneingeschränkte Nutzung der betroffenen Plattformen weiterhin möglich ist, wurden zusätzlich die zuvor erhitzten Gemüter wieder besänftigt. Weitet man seinen Blick nach Europa aus, ist hier noch einiges an Handlungsbedarf vonnöten. Die Richtlinien wurden zwar erstellt, allerdings scheitert das europaweite Projekt „digitale Binnenmärkte“ an einer einheitlichen Umsetzung der einzelnen Staaten.

Darüber hinaus konnte die Europäische Union die Lehre ziehen, dass kritische Gesetzesinitiativen aus dem Bereich Technik zu Protesten in der Bevölkerung führen kann. Unzufrieden mit dem Ergebnis der Reform sind auch Musiklabel, Hollywood-Studios und die Fußballbundesliga. Hier wird insbesondere die Direktvergütung der Künstler bemängelt. Der Unmut hierüber geht sogar so weit, dass seitens der Musikindustrie eine Verfassungsbeschwerde eingereicht wurde, bei der der Direktvergütungsanspruch überprüft werden soll.

Neben dem zuvor behandelten UrhDaG wurde durch die EU Urheberrechtsreform auch das Urheberrechts-Wissenschafts-Gesetz, kurz UrhWissG, eingeführt. Dieses Gesetz betrifft vor allem Bibliotheken und Archive. Im UrhWissG wird festgelegt, dass die Werke im Bestand einer solchen Institution sooft in digitaler Form vervielfältigt werden dürfen wie benötigt. Hiervon profitieren hauptsächlich Schulen und Forschungseinrichtungen wie Universitäten durch unproblematischen Zugang zu Lernmaterial ohne Wartezeit.

Das UrhWissG ist bereits am 1. März 2018 in kraft getreten. Diese frühe Implementierung in deutsches Stammgesetz gelang, da es sich um ein Gesetz handelt, welches wenig bis keine Kritik mit sich brachte.

Die Zukunft der EU Urheberrechtsreform

Ein Jahr nach Einführung des UrhDaG in Deutschland sind viele Plattformnutzer beruhigt darüber, dass aktuell die Uploadfilter zu keinen augenscheinlichen Einschränkungen führen. Nichtsdestotrotz wird uns die Entwicklung der EU Urheberrechtsreform auch in der Zukunft weiterhin begleiten. Hierbei ist zunächst zu schauen, wie die europäischen Nachbarländer weiter verfahren wollen, um einen einheitlicheren Urheberschutz zu gewähren. Zudem ist der Entscheid zur Verfassungsbeschwerde der Musikindustrie abzuwarten und ob dieser einen Einfluss auf das zukünftige Urheberrechtsgesetz haben wird.

Darüber hinaus plant die Europäische Union eine weitere Verschärfung der Kontrolle von veröffentlichten Inhalte im Internet. Der Digital Service Act, kurz DSA, ist ebenfalls Bestandteil des EU-Projekts digitaler Binnenmarkt.

Unterschied zur EU Urheberrechtsreform sind, dass neben Inhalten, die für die Öffentlichkeit zugänglich sind, auch diejenigen, welche privat versendet werden und somit unter das Briefgeheimnis fallen, mit Hilfe von Filter gescannt werden sollen. Diese Filter sollen zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch genutzt werden, können auf Wunsch weitere Inhalte filtern. Schlägt einer der intelligenten Filter auf eine Nachricht an, so soll diese unmittelbar zu einer eigens dafür angelegten Überwachungszentrale von Europol weitergeleitet werden. Diese Filter soll jedes Unternehmen, auch Start-ups in ihr System implementieren, was eine weitere Markteintrittsbarriere für innovative Plattformen darstellt und zur Festigung der bereits etablierten führt. Kritiker sehen hierbei einen massiven Eingriff in das Persönlichkeitsrecht und selbst Kinderschutzorganisationen sehen diese Reform als zu hohen Preis für den Schutz von Kindesmissbrauchsopfern.

Es bleibt also weiterhin spannend, welche weiteren Reformen und damit verbundene Filter von der Europäischen Union vorgeschrieben und wie dies den Alltag eines jeden beeinflussen werden.

Quellen:

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