pixel cells 6230169 1 e1661363361805

EU-Urheberrechtsreform wird ein Jahr alt – war die anfängliche Angst begründet?

Mit Inkrafttreten der EU-Urheberrechtsreform im vergangenen Jahr ist die Haftung für die Verbreitung illegaler Raubkopien von privaten Nutzern auf die dafür genutzten Plattformen übergegangen. In der Öffentlichkeit löste dies Ängste vor digitaler Zensur durch Upload-Filter aus, die dieses Gesetz umsetzen sollen.

Die Geschichte dieser bis heute gesellschaftlich und politisch umstrittenen Reform beginnt bereits einige Jahre früher.

Entstehung der aktuellen EU Urheberrechtsreform und daraus resultierende Gesetze

In einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof haben die Richter 2012 entschieden, dass Plattformen nicht verpflichtet sind, in einen Uploadfilter zu investieren. Die Ersteller von Inhalten seien selbst dafür verantwortlich, wenn sie illegale Bilder, Texte oder Töne auf Plattformen veröffentlichen.

Auf dieses Urteil folgten mehrere Kommissionen der Europäischen Union und Studien, die dieses Urteil widerlegten. So wurde am 25. Mai 2018 erstmals ein Entwurf der heute gültigen Richtlinie vom Ministerrat der EU vorgelegt. Ziel dieser Richtlinie ist es, einen einheitlichen digitalen Binnenmarkt in Europa zu schaffen.

Dieser Entwurf wurde in den folgenden Jahren europaweit von den Regierungen der europäischen Staaten diskutiert und auf seine Umsetzbarkeit geprüft. Auch in Deutschland wurde die EU-Richtlinie im Bundestag debattiert, während zehntausende Bürger auf der Straße gegen die Einführung des Gesetzes demonstrierten.

Am 1. August 2021 war es dann soweit und die EU-Vorgaben wurden in das deutsche Grundgesetz integriert. Das Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz, kurz UrhDaG, war geboren.

Pflichten von Social Media Plattformen, die im UrhDaG bestimmt werden

Kernpunkt des Gesetzes ist die Regelung, dass Plattformen prüfen müssen, ob auf ihnen urheberrechtlich geschütztes Material veröffentlicht wird. Betroffen sind insbesondere die Social-Media-Plattformen YouTube, Instagram, Facebook und TikTok, aber auch einige Streaminganbieter.

Das bedeutet, dass jeder Content, der von der Plattform hochgeladen wird, auf Urheberrechtsverletzungen geprüft werden muss. Wenn der Content Creator nicht selbst erstellte Inhalte hochlädt, muss im nächsten Schritt geprüft werden, ob die Plattform die Lizenz für das Material besitzt. Ist dies der Fall, muss eine Lizenzgebühr an den Künstler selbst gezahlt werden.

Ist dies nicht der Fall, muss ausgeschlossen werden, dass das Werk nicht als Zitat, Parodie, Karikatur oder Pastiche im Sinne des § 51a UrhG einzustufen ist. Es gelten folgende Regeln


  • eine Video- oder Tonsequenz darf 15 Sekunden nicht überschreiten

  • ein Zitat darf aus höchstens 160 Zeichen bestehen

  • ein Bildausschnitt darf maximal eine Größe von 125 kB haben

  • der erstellte Content muss mindestens doppelt so lang sein und eine neue Form besitzen.

Wird urheberrechtlich geschütztes Material vermeintlich legal veröffentlicht, weil es sich um ein Werk handelt, das unter die oben genannten Paragraphen fällt, muss in jedem Fall der Rechteinhaber informiert werden. Dieser kann sich bei der Plattform beschweren und die Löschung verlangen.

Stellt die Plattform nach eingehender Prüfung fest, dass der veröffentlichte Inhalt rechtswidrig ist, muss sie ihn unverzüglich löschen. Tut sie dies nicht, drohen hohe Lizenzstrafen. Der private Content-Ersteller ist nach dem Gesetz von der Haftung befreit, der gewerbliche nicht.

Auf der anderen Seite müssen die Plattformen sicherstellen, dass legale Inhalte nicht einfach verboten und gelöscht werden können. Daher gilt die Regel, dass hochgeladene Inhalte so lange online bleiben, bis eine Kontrollinstanz eine Urheberrechtsverletzung feststellt. Aus dieser Konstellation ergibt sich ein Konflikt, der bis heute zu viel Kritik an der EU-Urheberrechtsreform führt.

Plattformen in der Rolle des Richters

Bereits vor Einführung des UrhDaG wurde urheberrechtlich geschütztes Material auf Social Media Plattformen veröffentlicht. Die Frage, ob der bereits erwähnte § 51a UrhG greift oder ob es sich um eine rechtswidrige Veröffentlichung handelt, war oft Gegenstand jahrelanger Auseinandersetzungen von Urheberrechtsexperten vor Gericht.

Zur korrekten Umsetzung des Gesetzes müssen die Plattformen aufgrund der hohen Datenmengen auf intelligente Uploadfilter zurückgreifen. Diese sollen in kürzester Zeit die Arbeit erledigen, für die Richter Jahre benötigen. Dabei ist es derzeit noch schwierig bis unmöglich, der künstlichen Intelligenz Parodien oder Karikaturen beizubringen. Da Unternehmen hohe Strafen zahlen müssen, wenn urheberrechtlich geschütztes Material hochgeladen wird, besteht in der Bevölkerung die Angst, dass der intelligente Uploadfilter legales Filmmaterial vorsorglich als illegal einstuft und löscht.

Stellt sich schon die Frage, wie ein intelligenter Uploadfilter eine adäquate Bewertung der hochgeladenen Inhalte vornehmen soll, so erscheint es mehr als problematisch, wie Plattformen bei den stark zunehmenden Live-Formaten das Urheberrecht überprüfen können.

Ergänzend zum Uploadfilter wurden auf der Plattform YouTube sogenannte „Trusted Flagger“ eingesetzt. Dabei handelt es sich um besonders vertrauenswürdige Personen, die Inhalte auf Rechtsverstöße jeglicher Art überprüfen. Wird ein Video von einer solchen Person geflaggt, also markiert, wird es von speziell geschultem Personal priorisiert, geprüft und entweder gelöscht oder wieder für die Community freigegeben.

Die EU Urheberrechtsreform als Stolperstein für Start-ups

Die Implementierung von zuverlässigen Uploadfiltern ist eine technische Herausforderung, die viel geschultes Personal in diesem Bereich bedarf. Sie ist daher für jeden Betrieb, der ein solches Instrument benötigt, sehr Zeit- und kostenintensiv.

Etablierte Unternehmen können für einen prozentualen Bruchteil des Jahresumsatzes sich das benötigte Know-how einkaufen, wenn es sich nicht bereits in der Firma befindet. Gerade junge Unternehmen, die sich im Bereich von sozialen Netzwerken ansiedeln wollen, können auf solche Ressourcen nicht zurückgreifen.

Damit ist der Markteintrittswiderstand für junge Unternehmen extrem hoch. Denn sobald eine Plattform eine durchschnittliche Besucheranzahl von bereits 5 Millionen überschreitet, benötigen sie ein Kontrollsystem zum Erkennen von Urheberrechtsverletzungen.

Bilanz nach einem Jahr Urheberrechtsreform

Mit der Umsetzung der EU-Richtlinien in deutsches Recht prophezeiten Content Creators, dass sich das Bild und die Inhalte in den sozialen Medien stark verändern würden. Die Angst vor einer Zensur kritischer Stimmen aufgrund scheinbarer Urheberrechtsverletzungen und eines mangelhaften Uploadfilters wuchs.

Mittlerweile ist das Gesetz seit über einem Jahr in Kraft und in den Medien ist es ruhiger um die einst umstrittene Urheberrechtsreform geworden. Das liegt wohl vor allem daran, dass bisher keine Fälle von sogenanntem Overblocking durch die Uploadfilter bekannt geworden sind, also das wahllose Löschen von Inhalten, die urheberrechtlich geschütztes Material enthalten.

Gewinner dieser Reform sind zunächst die Urheber, die durch die stärkere Kontrolle des Urheberrechts auf den Plattformen höhere Einnahmen erzielen. Die Künstler werden direkt von der Plattform vergütet. Darüber hinaus erhalten die Künstler einen besseren Überblick darüber, wo die von ihnen erstellten Inhalte veröffentlicht wurden.

Weitere Nutznießer sind, wie bereits erwähnt, private Content-Ersteller, die unwissentlich urheberrechtlich geschütztes Material veröffentlicht haben. Durch die Einführung des UrhDaG müssen die Plattformen selbst eine rechtskonforme Nutzung durch die Nutzer sicherstellen.

Mit der Einführung dieses Gesetzes hat der deutsche Staat erreicht, dass nach europäischem Recht Rechtssicherheit besteht. Da eine uneingeschränkte Nutzung der betroffenen Plattformen weiterhin möglich ist, wurden zudem die zuvor erhitzten Gemüter wieder beruhigt. Weitet man den Blick auf Europa, so besteht hier noch Handlungsbedarf. Die Richtlinien sind zwar geschaffen, aber das europaweite Projekt „Digitaler Binnenmarkt“ scheitert an einer einheitlichen Umsetzung in den einzelnen Staaten.

Auch die Europäische Union hat gelernt, dass kritische Gesetzesinitiativen im Technologiebereich zu Protesten in der Bevölkerung führen können. Auch Musiklabels, Hollywood-Studios und die Fußball-Bundesliga sind mit dem Ergebnis der Reform unzufrieden. Hier wird insbesondere die direkte Vergütung der Künstler kritisiert. Die Unzufriedenheit geht so weit, dass die Musikindustrie Verfassungsbeschwerde eingelegt hat, um die Direktvergütung überprüfen zu lassen.

Neben dem bereits behandelten UrhDaG wurde durch die EU-Urheberrechtsreform auch das Urheberrechts-Wissenschafts-Gesetz, kurz UrhWissG, eingeführt. Dieses Gesetz betrifft vor allem Bibliotheken und Archive. Das UrhWissG regelt, dass Werke, die sich im Bestand einer solchen Einrichtung befinden, beliebig oft in digitaler Form vervielfältigt werden dürfen. Davon profitieren vor allem Schulen und Forschungseinrichtungen wie Universitäten, die so ohne Wartezeiten auf Lernmaterialien zugreifen können.

Das UrhWissG ist bereits am 1. März 2018 in Kraft getreten. Diese frühe Umsetzung in deutsches Stammgesetz war möglich, da es sich um ein Gesetz handelt, das wenig bis keine Kritik hervorgerufen hat.

Die Zukunft der EU Urheberrechtsreform

Ein Jahr nach Einführung des UrhDaG in Deutschland sind viele Plattformnutzer beruhigt, dass die Uploadfilter derzeit zu keinen erkennbaren Einschränkungen führen. Dennoch wird uns die Entwicklung der europäischen Urheberrechtsreform auch in Zukunft begleiten. Hier gilt es zunächst zu beobachten, wie die europäischen Nachbarländer vorgehen wollen, um einen einheitlicheren Urheberschutz zu gewährleisten. Zudem bleibt abzuwarten, wie über die Verfassungsbeschwerde der Musikindustrie entschieden wird und ob diese einen Einfluss auf das zukünftige Urheberrechtsgesetz haben wird.

Darüber hinaus plant die Europäische Union eine weitere Verschärfung der Kontrolle von Inhalten, die im Internet veröffentlicht werden. Der Digital Service Act, kurz DSA, ist ebenfalls Teil des EU-Projekts zum digitalen Binnenmarkt.

Der Unterschied zur EU-Urheberrechtsreform besteht darin, dass neben öffentlich zugänglichen Inhalten auch solche, die privat verschickt werden und somit unter das Briefgeheimnis fallen, mit Hilfe von Filtern gescannt werden sollen. Diese Filter, die zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch eingesetzt werden sollen, können auf Wunsch auch andere Inhalte filtern. Wenn einer der intelligenten Filter auf eine Nachricht anspricht, soll diese direkt an ein eigens dafür eingerichtetes Überwachungszentrum bei Europol weitergeleitet werden. Diese Filter sollen von jedem Unternehmen, auch von Start-Ups, in ihre Systeme implementiert werden können, was eine weitere Markteintrittsbarriere für innovative Plattformen darstellt und zu einer Stärkung der bereits etablierten Plattformen führt. Kritiker sehen darin einen massiven Eingriff in die Persönlichkeitsrechte und auch Kinderschutzorganisationen halten diese Reform für einen zu hohen Preis für den Schutz von Opfern von Kindesmissbrauch.

Es bleibt also spannend, welche weiteren Reformen und damit verbundenen Filter von der Europäischen Union auferlegt werden und wie sich diese auf den Alltag jedes Einzelnen auswirken werden.Quellen:

  • https://www.sueddeutsche.de/digital/urheberrechtsreform-umsetzung-deutschland-1.5262310

  • https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/urheberrechtsreform-1845042

  • https://www.wsws.org/de/articles/2022/08/16/chat-a16.html

  • https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/ein-jahr-urheberrechtsreform-urhdag-bilanz-uploadfilter-overblocking-social-media-plattformen-haftung-urheberrechtsverletzungen/
  • Kommentar verfassen

    Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert